Das Projekt "Scherben"

Bei diesem Projekt geht es um eine künstlerisch-dokumentarische Auseinandersetzung mit den Spuren, die der Tornado im Mai 2022 in Paderborn hinterlassen hat. Auf dieser Seite wollen wir Deine Erinnerungen und Gedanken zu dem Tornado festhalten und kartieren. Dafür gibt es verschiedene Umfrageformulare.
Idee & Konzept: Olav Schiedel / Kuratorin: Svenja Langer / Fotos: Olav Schiedel & Tobias Vorwerk

Die Karte

Vollbildanzeige (in neuem Fenster)

Auf dieser Karte sind aktuell vier Ebenen sichtbar.
Die Schneise des Tornados quer durch Paderborn ist goldfarbig hinterlegt.
Orange markiert sind die Erinnerungen und Standorte einzelner PaderbornerInnen während des Unwetters am 20.05.2022 zwischen 17 und 17:30 Uhr.
(Diese interaktive Karte wird fortlaufend aktualisiert.)
In Blau sind die Fundstellen der zerbrochenen Dachziegel gekennzeichnet. Sofern die Fragmente schon dokumentiert wurden, sind Bilder zu einzelnen Fragmenten hinterlegt.
Die grünen Markierungen zeigen die Skulpturen "Steinmenschen", die aus den Scherben entstanden sind.

Die Erinnerungen

Während der Ausstellung im Raum für Kunst e.V. vom 20.05. bis zum 04.06. wollen wir auch die Erinnerungen und Gedanken an den Tornado festhalten. Bereits im Vorfeld der Ausstellung gibt es die Möglichkeit, Deinen eigenen Zeitzeugenbericht zu verfassen. Dazu gibt es weiter unten einige Umfragen
Hier sind zwei Berichte beispielhaft aufgelistet. Mit zunehmendem Material werden die Berichte auf eine separate Seite ausgelagert.

E. Gassen, Riemekestraße, Paderborn.

Wir waren in unserer EG Wohnung im Riemekeviertel und schauten raus als die ersten Fetzen und allerlei Müll an den Fenstern vorbeiflogen. Im nächsten Moment knallten auch schon die kompletten Mülltonnen auf uns zu und alles mögliche schlug an Hauswand und Fenster....

S. Langer, Eisteich, Paderborn.

Aus einem Bauchgefühl heraus entschieden mein Mitbewohner und ich, den Bus um 16:50 Uhr von der Uni nach Hause in die Stadtheide zu nehmen, etwas früher als sonst. Während der 15-minütigen Fahrt ergraute der Himmel auf seltsame Art und Weise,... Blitze waren zu sehen und Donner war zu hören. Wind und Donner klangen irgendwie nicht normal, seltsam. Ich war trotzdem entspannt – ist ja schließlich nur ein Gewitter. Mein Mitbewohner aber reagierte sichtlich nervös, auch anders als sonst, wenn es gewittert. Eigentlich findet er Gewitter aufregend.
Wir stiegen aus dem Bus und der Wind war irgendwie seltsam. Mein Mitbewohner schaute nervös in den Himmel, sagte „das ist nicht normal!“ und wies mich an, zu laufen. Ich schlenderte weiter. Zwar wachsam, aber ich sah keinen Grund, mich jetzt zu beeilen. Wir mussten an der Ampel warten. Ein knackender Donnerschlag war zu hören, direkt darauf ein Blitz und wieder eine beunruhigende Windböe, man hörte den Wind durch die Bäume rascheln. Diese Sinneserfahrung ließ meinen Mitbewohner aufschrecken – er packte mich am Arm, brüllte mich an – „LAUF!“ und wir rannten über die rote Ampel nach Hause. Seine Nervosität machte mich nervös.
Zu Hause angekommen beobachtete ich die Wetterlage aus dem Fenster. Es fing an zu regnen und der Wind schob den Regen nur mäßig aus der Vertikalen. Mein Mitbewohner sagte noch: „Es ist ja schon ganz schön windig.“ Ich entgegnete nur: „Naja, also die Tropfen sind schonmal in steilerem Winkel auf den Boden gefallen.“ Gegen 17:40 Uhr verließ ich dann das Haus, um den Bus in die Stadt zu nehmen und eine Ausstellungseröffnung zu besuchen. Ich stieg in den Bus und nach ein paar Metern nahm der Bus plötzlich eine ganz kreative Route.
Wir befuhren eine Straße, auf der überall Bäume lagen und Feuerwehren den Weg räumten. Mein Gehirn arbeitete. An meinem Ziel angekommen blickte ich in geschockte Gesichter – ausnahmslos alle fragten mich, ob ich das Paderquellgebiet schon gesehen hatte. Die ersten Nachrichten auf meinem Handy erreichten mich: „Geht es dir gut?“ Dann erfuhr ich, dass ein Tornado die Stadt durchquerte, ca. 50 Meter von meinem Wohnort entfernt.
Nach der Veranstaltung wollte ich den Bus zurück nach Hause nehmen. Die Busse hatten jedoch den Verkehr stillgelegt. Also ging ich zu Fuß. Zunächst die übliche Route durch die Stadt. Es folgte eine Absperrung, ein Feuerwehrmann entschuldigte sich: „Hier ist es zu gefährlich. Sie müssen außen herum gehen.“ Also ging ich zurück, um den Weg über den äußeren Stadtring zu nehmen.
Es war eine apokalyptische Kulisse. Überall lagen Bäume, Äste, Dachziegeln, Holzteile. Ich versuchte, mich zu beeilen. Es war gruselig. Ein Mann mit Eimer und Werkzeug in den Händen rief mir aus einiger Entfernung zu: „Passen Sie auf! Dort oben!“ Ich schaute nach oben und sah, wie ein Laternenkopf über mir nur noch an einem seidenen Faden hing und drohte, mir auf den Kopf zu fallen. Ich bedankte mich erschrocken bei dem Mann für die Warnung, ging schnellen Schrittes nach Hause und fragte meinen Mitbewohner, ob er wisse, was passiert ist. Er schaute mich mit einem großen Fragezeichen in den Augen an. Ich erzählte ihm, dass das Unwetter vorhin ein Tornado war und beschrieb ihm, wie die Stadt aussah. Er hatte etwas geahnt, aber das hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt.

Das Projekt

Zerbrochene Dachziegel sind immer noch zu finden. In Grünanlagen, Vorgärten und Hinterhöfen halten sie sich fest. Ähnlich wie die Gedanken und Erinnerungen, die wir seitdem in uns tragen.
Das Projekt "Scherben" geht interdisziplinär auf Spurensuche und nimmt zerbrochene Dachziegel genauer unter die Lupe.
Es beschäftigt sich künstlerisch mit dem Material und seiner Form. Mit den Emotionen, die von den Spuren ausgelöst werden.
Es sammelt und kartiert Fragmente in der Stadt für eine spätere archäologische Aufarbeitung.
Und es sammelt Erinnerungen und Gedanken an und über die einschneidenden Ereignisse vom 20. Mai 2022 in Paderborn.

Wenn sich Gespräche um den Tornado drehen, wird immer wieder deutlich, dass dieses Erlebnis in vielen Menschen noch arbeitet. Wir haben aufgeräumt und versucht, das Thema abzuhaken. Für eine Auseinandersetzung war keine Zeit und kein Raum. Mit dem Projekt "Scherben" soll Platz für Erinnerungen, Gefühle und Emotionen entstehen. Es soll zeigen, dass wir mit unseren Gedanken nicht alleine sind.

Was im Sommer 2022 mit dem Aufheben von einzelnen Scherben begann, entwickelte schnell eine eigene Dynamik. So hat die Unterstützung durch den Raum für Kunst e.V. und die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Paderborn sowie der LWL-Stadtarchäologie das Projekt in diesem Umfang erst möglich gemacht. Ohne die Informationen aus verschiedenen Ämtern der Stadt Paderborn hätte vieles länger gedauert.

Jetzt ist der Punkt erreicht, wo das gesammelte Material in einer Ausstellung gezeigt werden kann. Die Ausstellung will den Impuls zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dem Tornado geben und Erinnerungen sammeln.
Teile dieser Erinnerungen fließen in das Buch ein, das im Mai 2024 erscheint.

Die Ausstellung

Zum Jahrestag des Tornados wird die Ausstellung Scherben im Raum für Kunst/Paderborn eröffnet. Sie geht vom 20.05 bis zum 04.06.2023 und ist Dienstags von 16 bis 19 Uhr geöffnet.
In der Ausstellung geht es um die Betrachtung der Überreste und die Verwandlung der Trümmer in "Neues, Unerwartetes".
Führungen für Schulklassen sind nach Absprache möglich und erwünscht.
Während der Ausstellung werden täglich Scherben von verschiedenen Fundstellen für eigene Auseinandersetzungen bereitgestellt.
Dafür steht auch eine kleine Fotobox bereit.
#scherbenpaderborn

Gestapelte Steine: Steinmensch Heckersgasse Fundstelle 1

Zu der Ausstellung erscheint im Lektoraverlag unter der ISBN-Nummer 978-3-95461-248-2 ein Katalog mit 72 Seiten Umfang.
Der Katalog kann bereits vorab bestellt werden. Folgen Sie dazu diesem Link.
Der Katalog wird mit Mitteln vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe gefördert.

Umfragen

Es sind schnellebigen Zeiten. Daher ist es sinnvoll, spätestens jetzt die Spuren des Tornados in Paderborn zu sichern. Um Deine Erinnerungen und Gedanken sowie Fotos und Videos abzufragen gibt es drei Umfrageformulare. Damit wollen wir das dokumentieren, was die einzelnen PaderbornerInnen an diesem Tag bewegt hat.

- Tornado-App
Die Umrageformulare gibt es hier gebündelt als App.

Die einzelnen Umfragen:
- Dein Standort
Wo warst Du am 20.05.2022 als der Tornado seine Weg durch Paderborn suchte und was hast Du erlebt?
- Deine Gedanken
Welche Gedanken haben sich bei Dir entwickelt? Wie denkst Du heute über das Ereignis?
- Deine Fotos/Videos
Fotos und Videos rund um den Tornado sind wertvolle Zeugnisse für das Stadtarchiv.

Spendenprojekt

Die Gebäudeschäden werden weitestgehend von Versicherungen getragen und zur Beseitigung der Vegetationsschäden werden Landesmittel eingesetzt.
Die dreifache Mutter Kim Tuyen* wurde während des Tornados von einer Dachpfanne am Kopf getroffen und musste notoperiert werden. Weitere Operationen folgen. Um die existenzbedrohende Situation der Selbstständigen zu entschärfen, die seit der Katastrophe ohne Einnahmen ist, haben das Westfalen-Blatt und die Paderborner Bürgerschützen eine Spendenaktion gestartet.
Das Projekt "Scherben" will diesen Spendenaufruf unterstützen.

Hier geht es zu Berichten des Westfalenblatt über die schwer verletze Frau:
- Kim Tuyen schwebte nach der Naturkatastrophe in Lebensgefahr
- Familie vor großen Herausforderungen - WESTFALEN-BLATT und Schützenverein rufen zu Spenden auf
- Große Resonanz auf Aktion vom WESTFALEN-BLATT und PBSV

Hilfe für Kim Tuyen:

Unterstützungsverein des Paderborner-Bürger-Schützenvereins
IBAN: DE 34 4765 0130 1800 0799 39
Verwendungszweck „Hilfe Kim Nuyen“

Wer eine Zuwendungsbestätigung benötigt, welche der Verein selbstverständlich ausstellen kann, sollte neben dem Namen auch die Anschrift im Verwendungszweck der Überweisung angeben. Sämtliche Spenden werden in voller Höhe an die verletzte Frau weitergegeben.
Olav Schiedel spendet die Hälfte der Gewinne aus dem Verkauf von den limitierten und signierten Fineart-Prints sowie dem Katalog.
* Der Nachname wird auf Wunsch der Familie nicht veröffentlicht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Olav Schiedel

Eine interessante Analyse zum Tornado ist auf Tornadomap.org zu finden.

Unterstützer und Sponsoren

Wir bedanken uns bei beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der Bürgerstiftung Paderborn und der Bank für Kirche und Caritas für die finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung des Projektes.